Wir reden von Anerkennung und gleichzeitig reden wir von Wertschätzung. Besser gesagt, wir übernehmen hier das Gedankengut von Abraham Harold Maslow (amerikanischer Psychologe und Mitgründer der humanistischen Psychologie, geb. 1. April 1908, gest. 8. Juni 1970). Mit seiner Bedürfnispyramide hat er unser Denken revolutioniert. Er setzt allerdings voraus, dass der Mensch das nächsthöhere Bedürfnis nicht decken kann, solange es nicht, das vorgängige befriedigt hat. Dies hat heute noch seine Berechtigung.
Wertschätzung und Anerkennung werden synonym behandelt. Im heutigen Sprachgebrauch sogar in einem Satz genannt. In dieser Forderung steckt eine Gleichzeitigkeit, die jeden in Erstaunen versetzt und nicht so gleich wieder aufatmen lässt. Mein Gegenüber will Wertschätzung und Anerkennung bekommen, und zwar von mir und zwar am liebsten ständig. Ich frage mich dann, in welcher Form ich meine Wertschätzung oder meine Anerkennung für ihn äussern soll. Das ist doch ein zweischneidiges Schwert! Sehe ich ihn so wie er sich sieht (vgl. Johari)? Kommt meine Beurteilung seiner Beurteilung nahe? Was nun, komme ich jemals aus dieser Sache raus?
Analysieren wir mal die zwei Worte Anerkennung und Wertschätzung, die mitnichten gleich behandelt geschweige gleichbedeutend sind. Ich ziehe hier als ersten Schritt wieder das etymologische Wörterbuch von Kluge zu Rate (2002, 24. durchgesehene und erweiterte Auflage).
anerkennen
Schwaches Verb für „gutheissen“ Standardwortschatz seit dem 16. Jahrhundert. Die spezielle Bedeutung „gutheissen“, die bei erkennen besonders im Zusammenhang mit „als“ auftritt, wird durch die Verbindung mit an- verdeutlicht – Vorbild sein – von lateinisch agnoscere und/oder franz. reconnaître ist nicht ausgeschlossen. Anerkennen tritt schliesslich allgemein für diese Bedeutung ein.
Um ein Vorbild zu sein, um meinetwegen gutgeheissen zu werden, muss ich mich zuerst erkennbar machen; mich positionieren. Ich trete in die Bewusstwerdung meiner Rolle im System. Ich anerkenne zuerst meine eigene Identität, setze mich mit ihr auseinander bevor ich sicher gehen kann, dass andere das in mir sehen, was sie (an-)erkennen sollen. In dieser Bewusstwerdung lote ich meine Möglichkeiten aus und setze diese der eigenen Absicht entsprechend ein. Wie zu sehen ist, ist ein langer Weg, bei dem selbstreferenzielle Fähigkeiten gefragt sind gemischt mit einer gehörigen Portion Selbstkritik.
Erst wenn ich mich, meine Talente, meine Identität und meine Fähigkeiten selbst erkannt habe, kann ich davon ausgehen, dass es mein Gegenüber auch tut und das in der mir gebührenden Weise.
wertschätzen
ist ein zusammengefügtes Wort mit neuzeitlichem Ursprung und doch in aller Munde. Hierzu habe ich die ursprünglichen deutschen Worte für meine Überlegungen herangezogen.
wert
Adjektiv, Standardwortschatz seit dem 9. Jahrhundert, mittelhochdeutsch wert, althochdeutsch werd, altsächsisch werth. Aus gemeingermanisch *werpha– Adj. „wert, würdig“, auch in gotisch wairps, altnordisch verdr, altenglisch woerp, altfriesisch werth. Vergleichbar sind kymrisch (walisisch) gwerth „Preis“, avestisch auuareta– „Wertgegenstand, Besitztum“. Ausgangsbedeutung ist „Gegenwert“, deshalb zu der Sonderbedeutung „gegen“ bei der Grundlage indogermanisch *wert– „wenden“ (werden), vgl. kymrisch (walisisch) gwerthu „verkaufen“. Verb: werten, Substantiv: Wert
Würde
Substantiv feminin, Standardwortschatz seit dem 8. Jahrhundert, mittelhochdeutsch wirde, werde, althochdeutsch wirda, wirdi, werdi. Abstraktum zu Wert, also eigentlich „Wert, Wertsein“. Adjektiv: würdig
Schatz
Substantiv maskulin, Standardwortschatz seit dem 8. Jahrhundert, mittelhochdeutsch scha(t)z, althochdeutsch scaz, altsächsisch skatt „Geld, Vermögen, Vieh“. Aus gemeingermanisch *skatta– m. „Besitz, Vieh“, auch in gotisch skatts „Geld(stück)“, altnordisch skattr „Abgabe, Reichtum, Geld“, altenglisch scaett, altfriesisch skett. Verb: schätzen, schatzen
Wer das Wort wertschätzen zuerst benutzt hat und in welchem Zusammenhang konnte ich nicht nachvollziehen. Es bleibt die Tatsache, dass es in unseren Standardwortschatz eingegangen ist und mehrfach belegt ist. Hier meine Bedeutung:
Sich oder seinen Leistungen einen Wert geben resp. zuordnen. Diese in einen Wert resp. Gegenwert wandeln. Diesen Gegenwert dafür erwarten. Der Gegenwert wird von allen gleich verstanden und stellt eine Bemessungsgrundlage dar.
In dieser Hinsicht tönt das sehr monetär und soll auch als solches verstanden werden. Schliesslich schätzt ein jeder seinen eigenen Wert ein.
Mein Fazit aus dieser Reflexion: Anerkennung und Wertschätzung sind nicht gleichbedeutend, bedingen einander nicht, sondern ergänzen einander. Wertschätzung folgt der Anerkennung. Anerkennung beginnt bei sich selbst.