Das Alte lieben und das Neue leben.

Diese Worte begleiten mich seit ich die Biografie von Sir Peter (Alexander Baron von) Ustinov (Denker, Philosoph, Schauspieler, Autor und noch so vieles mehr. Doch für den Zeitraum vom 16. April 1921 bis zum 28. März 2004 war er vor allen Dingen Weltbürger.) gelesen habe. Was wollte er uns damit näher bringen?

Es gibt im Leben vieler Menschen, Dinge, Ereignisse, Erfahrungen, Zeiträume, die man erlebt hat. Man hat sie erlebt, gelebt und durchlebt. Und dann sind sie zwar vorbei, aber sind sie auch abgeschlossen? Das war eine rhetorische Frage. Das heisst, jede Antwort würde zu weiteren Fragen führen.  

Solche Ereignisse zeichnen sich auf dem Lebensweg wie aufgerissene Strassen aus. Anfangs ist es durchaus noch attraktiv für den menschlichen Geist. Man muss sich nicht damit befassen, etwas loszulassen, sich zu verabschieden oder gar einen Schritt in eine neue Richtung zu gehen. Man – also die kognitive Ebene des Menschen – hegt die Hoffnung, dass sich an der abzuschliessenden Situation noch etwas ändern könnte. Mit der Zeit jedoch wird schmerzlich klar, dass diese offen gelassenen Wege zu Schluchten werden. Der Geist kämpft noch kräftig dagegen an, aber die emotionale und die körperliche Ebene im Menschen wissen bereits, dass die kognitive Ebene sich lösen muss. Der Mensch wendet sehr viel Kraft auf, die drei Wesen in sich in Einklang zu bringen und dann noch jedes Mal über diese immer grösser werdende Schlucht zu springen. Regelmässige Konfrontationen mit der Vergangenheit gehören dann bald zur Tagesordnung und der Mensch legt sich ein Repertoire an Ausreden und Strategien zu recht, warum man die Angelegenheit offen lässt, warum es gut ist, zu verdrängen. Der Mensch trifft die Wahl nicht abzuschliessen. Es blüht die Wiederholung, und die ist bekanntlich die Hölle. 

Die anfängliche Hoffnung wird zur Eitelkeit der Vernunft. 

Wenn man einen Sprung auf ein neues Gebiet wagen will, wäre es nicht einfacher, diesen Sprung nicht über eine Schlucht machen zu müssen sondern über eine ebenerdige Fläche? Auch das war wieder eine rhetorische Frage.

Der Mensch unterscheidet sich von anderen Lebewesen, dass er bewusst Entscheidungen treffen kann. Der Mensch besitzt einen freien Willen. Im Willen der eigenen Entschlusskraft, wann und wie Ereignisse abgeschlossen werden, hat der Mensch die Wahl und die Freiheit. 

Carpe Diem! – Nutzt der Mensch die Chance, Ereignisse bewusst auf allen drei Ebenen abzuschliessen, hat er grossen Einfluss darauf, die entstehenden Erinnerungen in den richtigen Rahmen zu setzen. Wird er dann wiederholt an diese Erfahrungen erinnert, so geschieht das in Würde dessen und er wird sogar Energie daraus schöpfen. Die Würdigung aller Ereignisse im Leben ist die eigene Anerkennung der Selbsterbauung. Das Gefühl des Ankommens und des Angekommenseins. 

Was von der geschlossenen Schlucht bleibt? – Ein Stück Trauer.

Eine klare Nut in der Erde des Gedächtnisses.

Dies für die Gewissheit, dass es nun endgültig vorbei ist. Es bleibt die Trauer, die uns manchmal einholt. Der wir dann mit Anerkennung der eigenen Leistung begegnen können ohne sie aus Eitelkeit verdrängen zu müssen. So wird aus der Trauer Andacht – das Andenken an eine Phase im Prozess; im Prozess des Lebens.  

Und schon werden Fragen ruhig und bedürfen keiner Antwort mehr. 

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