Wenn sich Wort, Zeit und Ort verbinden

Der Philosoph Han Byung-Chul bringt der Leserschaft auf konzentriertem Raum seine Gedanken zum Zeitgeist näher. Er legt eine gesellschaftliche Wahrheit dar und rückt diese teils provokant, teils wehmütig ins Bewusstsein der Leserschaft. Die Omnipräsenz der Medien, die ständige Forderung nach mehr Leistung und Effizienz hinterlässt seine Spuren. Rituale gehen verloren wie ein Echo in der Zeit. Han zeigt in wenigen Worten mit klarer Aussage auf, einerseits was der Gesellschaft entgeht, wenn deren Rituale verkümmern andererseits, wie Rituale in einer Gesellschaft in der Überritualisierung ihre wahre Bedeutung verlieren.

Han nimmt uns zum Ursprung der Bedeutung von Ritualen mit, führt vor Augen, was Rituale beim Menschen bewirken und erweckt den Wunsch der Gesellschaft nach möglichen, neuen Formen von Ritualen, um in der Zeit des Umbruchs und der Neuorientierung, wieder Halt und Resonanz in der Gemeinschaft zu finden.

Für Beratungspersonen ist der Aspekt «Rituale als Impulse» in der Prozessbegleitung interessant, da Klientensysteme das Beratungssetting als affirmativen Ort in der Zeit nutzen, für sich selber zu schweigen, zu kreieren, zu reflektieren und zu werden.

Rezension im Auftrag bso, November 2020

Han, Byung-Chul
Vom Verschwinden der Rituale
2019, 4. Auflage, 120 Seiten. Ullstein. Berlin
ISBN 978-3-550-05071-8

Rappelkiste ICH

Noch bevor der Name des Autors gelesen wird, erkennt die interessierte Leserschaft anhand des Titelbildes, dass das Buch Verblüffendes, Erstaunliches und Ernüchterndes bereithält. Steve Ayan aus dem Autorenteam der Fachzeitschrift Gehirn & Geist teilt seine Erkenntnisse aus der Forschung mit seiner Leserschaft. Dabei ertappt sie in den angeführten Beispielen sowohl ihr eigenes als auch andere ICHs – manchmal paradox, doch ach so menschlich.

Das Schmunzeln über sich selbst kommt dabei nicht zu kurz, und die eigene Betrachtungsweise bekommt neue Facetten. Mit leichter, humorvoller Ernsthaftigkeit werden Seite für Seite relevante Modelle aus der Psychologie und Verhaltensforschung entdeckt, die die Beratungsarbeit so spannend macht. Wertvoll sind die plastischen Beispiele, die sowohl im Beratungssetting als auch in Trainings dialogisch aufgebaut werden können.

Die fünf Kapitel führen die Leserschaft stringent zum Kern, die Untertitel sind sorgfältig gewählt und halten allesamt ihre Versprechen. Eine Makrosicht auf die menschliche Konstruktion im Innersten. Jeder nutzt dieselben Filter und lässt dabei einzigartige, einmalige Persönlichkeiten entstehen. Bewundernswert und gleichermassen überraschend: Ein Buch, das nicht nur Trainer und Beratungspersonen mehr als einmal lesen werden.

Steve Ayan, Ich und andere Irrtümer
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 2019
ISBN 978-3-608-96353-3

Rezension erschienen im bso Journal 01/2020

Ich denke mich, also…

Veronika Schantz plädiert für die Aufmerksamkeit! Nicht im modernen, inflationären Sinn sondern im Rahmen unserer Persönlichkeit, weil sie an die Bedeutsamkeit des Hier und Jetzt als Ressource unserer Befindlichkeit erinnert.

Und für die Befindlichkeit im Jetzt sind wir nicht nur verantwortlich – auch mit unseren Sinnen und unserer Denkfähigkeit tragend. Achtsamkeit ist in Schantz’ Bedeutung keine transzendentale Fähigkeit, die wenigen erleuchteten Auserwählten vorbehalten ist sondern sie ist eine ureigene angeborene Tätigkeit, die jeder im Moment aktivieren kann. Das Buch in Kapiteln aufgebaut, die die Leserschaft auf eine Reise mitnimmt. Eine Reise mit Ziel aber die Aufenthaltszeit an den jeweiligen Orten bestimmt jeder selbst.

Zauberhaft fast wie ein Märchen entführt uns die Autorin mit ihren Wortspielen, ihrem humorvollen Schreibstil in eine echte Welt, aus der wir scheinbar entfliehen wollen bis wir die Magie unseres Selbst darin wahrnehmen. Mit unserer Achtsamkeit, in die wir gedanklich geleitet werden, kommen wir bei uns an, versöhnen uns und unserem Alltag und fangen wieder an, uns darin wertzuschätzen.

Die Leserschaft trifft auf leichte Gedanken mit Tiefgang, schöne Metaphern, treffende Beispiele und erfährt die Freude persönlicher Erkenntnisse.

Lesenswert, schenkenswert, erzählenswert – für Privat- wie auch Beratungspersonen geeignet.

Veronika Schantz
Bei sich selbst ankommen
ISBN 978-3-608-96185-0
www.klett-cotta.de

Der Ort, an dem wir uns treffen

In der Beratung ist Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg nicht mehr wegzudenken. Rosenberg gab der Gesellschaft die Möglichkeit, sich im Dialog an einem Ort zu treffen, der jenseits von richtig und falsch liegt. An einem Ort, an dem unterschiedliche Bedürfnisse nebeneinander bestehen dürfen und „Präsenz eine Qualität der Empathie“ darstellt. 

Veröffentlicht werden Mitschriften in Dialogform der letzten Seminare Rosenbergs in Italien, wo er unter anderem auf Journalistinnen und Journalisten, Politiker und Politikerinnen, Eltern, Lehrpersonen, Gesundheitsfachleuten und Geschäftsleuten traf und sich mit ihnen in Beispiele rund um die Macht der Kommunikation vertiefte und ergründete, welche Wirkung, Energie und somit Verantwortung in jedem Dialog steckt. 
Einmal mehr ermahnt uns Rosenberg, mehr Angebote für die selbständige und mündige Entscheidung des Gegenübers in unsere Interaktionen einzubinden und zeigt auf, wie in einer verantwortungsvollen und integren Art der Kommunikation eine gemeinsame Macht entsteht. Offen wird auch mit den Fragen umgegangen „Wie viel Macht hätten Sie gerne in dieser Situation gehabt?“ oder „Hätten Sie gern mehr Macht?“ und hält uns so den Spiegel der Erkenntnis vor.
Wertvoll wird das kompakte Buch, weil Fragen aus den Alltagssituationen, die jeden betreffen können, auf einfache Weise beantwortet werden. Mit der Sprache, die dem Du und dem Ich einen Raum geben, in welchem sie sich treffen dürfen; ohne zu müssen. Lesenswert auch darum, um einen weiteren Einblick ins Lebenswerk Rosenbergs zu bekommen und seinen Gedanken und Anekdoten zu lauschen.

Rosenberg, Marshall B., Costetti, Vilma
Gewaltfreie Kommunikation und Macht – In Institutionen, Gesellschaft und Familie (Originaltitel: Comunicazione & Potere)
1. Auflage, 2017, www.junfermann.de

Motivation in Bewegung setzen

Auf einem Poster in Flipchartgrösse ist der Prozess des von Ralf Demmel entwickelten Motivational Interviewing bildhaft und auf das Wesentliche reduziert. Der Leitfaden zur Prozessgestaltung ist schnell gelesen, überzeugt und regt vor allem Coaches mit entsprechender Felderfahrung zur unkomplizierten Umsetzung an.

Die vier Dimensionen im Setting zwischen Ratsuchenden und Beratungsperson sind mit Rollen, Haltung, Grenzen und Möglichkeiten erläutert. Das Poster bietet mit den einfachen Erklärungen Ansätze zur Reflexion und die Beratungsperson erkennt bewusst, wann sie den Übergang in eine neue Phase begeht.

Aus der Psychotherapie kommend verwendet Demmel in der Beschreibung die Begriffe „Patient“ und „Therapeut“. Das Tool eignet sich jedoch genauso gut im beruflichen oder persönlichen Coaching.

Empfehlenswert für erfahrene Coachs!

Ralf Demmel, Motivational Interviewing – Prozesse auf einen Blick (Poster in Flipchart-Grösse)

ISBN 978-3-621-28543-8

Rezension erschienen im bso Newsletter

Ich bin ein Narzisst, und du?

Dass heute oberes Management und Narzissmus im selben Satz verwendet werden, verwundert wenig. Der Autor zeigt neben den theoretischen, historischen Ausführungen zum Bild einer narzisstischen Person und der Arbeitsweise in der wettbewerbsstarken Wirtschaft auf, wie eine solche Tendenz in der aktuellen Auffassung einer erfolgreichen und leistungsorientierten Organisation ihren Platz gefunden hat, gelebt und ausgeweitet wird. Dabei unterstreicht er, wie wichtig Supervision und Coaching im Kontext narzisstischer Führung für den Leader, die Mitarbeitenden und die Kultur eines Unternehmens sein kann.

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450 Fragen für die leere Leinwand

„Was lasse ich los, damit aus den offenen Fragen Antworten gehört werden?“ (A. Maier) – Fragen gehören zum Beratungsrepertoire. In Anitta Maiers Sammlung finden sich Fragen, die sich nicht unmittelbar begreifen lassen sondern die, nachdem sie gestellt wurden, reifen wollen, die Antwort abwartend bestaunt werden wollen, bevor sie die Leinwand mit Bildern und Möglichkeiten füllen.

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